Freitag, 20. Juli 2007

Von der Angst, keine Angst mehr zu haben

Irgendwann ist man durch, ganz durch. Ich sitze auf der Straße und blinzle in die Sonne. Halt nein, falsch, ganz falsch. Also das mit dem Sitzen. Blinzeln läuft in echt in Echtzeit. Aber ich sitze nicht auf der Straße, also nicht mit dem nackten Hintern auf dem Pflaster, sondern auf einem Stuhl, und der steht auf dem Bürgersteig. Ich bin auch nicht nackt, vom Stuhl trennen mich Hose und Unterhose. Um es kurz zu machen - ich befinde mich in einem Straßencafé und trinke ein Bier mit Peter, Peter Verreter, wie ich ihn nenne. Bzw. mehrere, also Biere jetzt, wenn auch nicht gleichzeitig. Peter zahlt. Ist auch das Mindeste. Doch dazu später mehr.

"Allodoxaphobie" sagt Peter.
"Was'n das für'n Tier?"
"Allodoxaphobie" beginnt Peter zu dozieren, das macht er gerne, "ist die Angst vor einer Meinung."
Ich muss so lachen, dass ich mich am Bier verschlucke und einige keuchende, hustende und prustende Minuten brauche, um mich wieder zu fangen.
"Angst vor wessen Meinung?"
"Du hast Angst vor deiner Meinung, Carl."
"Lustig, das von jemandem zu hören, der erst durch meine Tätigkeit als unfreiwillige Muse seine Schreibhemmung verloren hat."
"Graphophobie, die Angst zu schreiben" schlaumeiert Peter. Er kann's nicht lassen. "Ok, tut mir leid, dass ich dein Leben ungefragt benutzt habe. Aber du lebst dein Leben so oder so, das läuft von alleine. Aber Schreiben bedeutet Arbeit und Anstrengung."
"Ist ja gut. Was willst du eigentlich? Erst unterstellst du mir, ich hätte Angst vor meiner eigenen Meinung, weil ich dich nicht auf der Stelle umbringe, dann bittest du um Entschuldigung, dass du aus meinem Leben ein Hörspiel gemacht hast, und dann nimmst du diese Entschuldigung wieder zurück."
Peter schaut zur Seite, fummelt recht umständlich eine Zigarette aus der Packung, sucht noch umständlicher in allen Taschen nach einem Feuerzeug und zündet dann endlich die Zigarette an.
"Gibt's was neues von Sonja?" fragt er nach dem ersten Lungenzug. Sonja ist meine Freundin, die jetzt einen anderen heiratet. Falls es jemand noch nicht weiß.
"Ist dir der Stoff ausgegangen? Brauchst du Inspiration? Wenn ich mal ne Marke werde, nenn' ich mich: Carl Cowalski, Inspiration für alle. Du bist echt 'n Junkie, und ich bin dein Dealer."
"Ich find dein Leben einfach spannend, zumindest spannender als meins. Du bist quasi der Nordatlantik und ich der Plattensee. "
"Der Plattensee ist doch schön" protestiere ich kraftlos. Peters Selbstmitleid nervt ein wenig. Aber immerhin zahlt er. Und es scheint ihm deutlich besser zu gehen, seitdem er wieder schreibt. Irgendwie entspannter wirkt er.

Und das mit dieser Allo-Dingsbums, also der Angst vor einer Meinung, ich find das gar nicht schlecht. "Bild dir keine Meinung" wäre meine Wahlspruch, wenn ich ein altes Adelsgeschlecht wäre, mit Wappen und dem ganzen Zeug. Meinungen sind meist vergeudete Kraft, stiften oft unsinnigen Streit. Ob ich nun diese oder jene Meinung zu Diesem oder Jenem habe, hat erfahrungsgemäß kaum Einfluss auf mein Leben.

Wenn Ihr meint, dass sei Quatsch, dann bloß keine Angrophobie, das ist die Angst, wütend zu werden.

Euer Carl

(Fortsetzung folgt)






Freitag, 6. Juli 2007

Meine Freundin und ihr Freund

Ich war ehrlich überrascht, als meine Freundin sagte, sie will heiraten, aber nicht mich. Im September ist es soweit, Sonja heiratet Volker. Gestern kam die Einladung. Sie werden mir bestimmt auch Ansichtskarten aus den Flitterwochen schreiben. Und mich zum Patenonkel ihrer Kinder erwählen.

Während Sonja die Sitzordnung austüftelt, übt Volker mit seiner Band für den großen Auftritt. Wahrscheinlich wird er vor versammelter Verwandt- und Bekanntschaft "My Way" röhren. Ich versuche derweil meine Verwunderung zu überwinden, anschließend meine Bitterkeit runterzuschlucken und bei der Hochzeit nicht negativ aufzufallen. Also nicht betrunken rumzubrüllen, den Bräutigam anzupöbeln oder in die Blumengestecke zu kotzen. Dieses Zivilisationsprojekt wird die nächsten Monate ausfüllen, hab ja eh nichts zu tun. Toller Sommer.

"Der Himmel weint, in meinem Herzen regnet es auch
kitschige Lieder sind das, was ich jetzt brauch"

Doch nun vom Selbstmitleid zur Wut. "Wer nicht leiden will muss hassen" hat mal ein berühmter Psychoanalytiker gesagt. Blöd nur, dass ich Sonja einfach nicht hassen kann und Volker ist das Nichts in Menschengestalt. Wie eine verirrte Rakete findet meine Wut kein Ziel und krepiert schließlich jämmerlich im leeren Raum. Immer diese Nettigkeit. Sie treten dir mit einem Lächeln in den Magen, sagen höflich "Entschuldigung" und wollen deine Freunde sein. Wenn du jetzt anfängst zu schreien, stellst du dich selbst in Abseits. Und bleibst da für ein Weilchen. Bist der Aggressive, setzt dich ins Unrecht. Jetzt bin ich schon wieder beim Selbstmitleid. Dann ziehe ich es eben durch: Ich bin für jede Art von Trost empfänglich. Bemitleidet mich. Sagt Kosenamen zu mir.

Euer Carlilein